Molnupiravir und Paxlovid: Was leisten antivirale Pillen gegen Sars-CoV-2?
Offenbar ist die Zeit der Virostatika gekommen: In nur etwas mehr als einem Monat konnten zwei antivirale Medikamente in klinischen Studien bei Coronapatienten die Hospitalisierungsrate und Todesfälle verringern. Beide Wirkstoffe werden kurz nach der Infektion in Tablettenform verabreicht.
Am 4. November 2021 erteilte Großbritannien als erstes Land die Zulassung für Molnupiravir, das unter dem Markennamen Lagevrio vertrieben wird. Das Medikament wurde von Merck mit Sitz in Kenilworth, New Jersey, sowie Ridgeback Biotherapeutics in Miami, Florida, entwickelt. Die Zulassung in Großbritannien erfolgte etwas mehr als einen Monat später, nachdem die beiden US-amerikanischen Pharmafirmen bekannt gegeben hatten, dass das Arzneimittel das Risiko eines Krankenhausaufenthalts bei Menschen mit milden oder mittelschweren Formen von Covid-19 halbiert hätte. Einen Tag nach der britischen Zulassung gab das in New York ansässige Unternehmen Pfizer bekannt, dass sein antivirales Medikament Paxlovid die Zahl der Hospitalisierungen sogar um 89 Prozent reduziert habe.
Bisherige antivirale Mittel gegen Covid-19 sind teuer und müssen in der Klinik verabreicht werden. Die neuen Medikamente lassen sich hingegen vergleichsweise billig herstellen und können zu Hause eingenommen werden. »Für große Teile der Welt ohne eine ausreichend hohe Impfquote ist dies wirklich ein Geschenk des Himmels«, sagt Charles Gore, geschäftsführender Direktor des Medicines Patent Pool, einer von den Vereinten Nationen unterstützten Organisation mit Sitz in Genf, die sich für einen besseren Zugang zu Medikamenten einsetzt.
Wenn sich die Ergebnisse der neuen Virostatika bewähren, hätten diese womöglich das Potenzial, den Verlauf der Pandemie entscheidend zu verändern. Folgende fünf Schlüsselfaktoren könnten darüber maßgeblich entscheiden:
Wie wirksam sind die neuen Virostatika?
Den Pressemitteilungen nach zu urteilen, können beide Medikamente die Hospitalisierungsrate von Covid-19-Patienten deutlich verringern, wenn sie relativ rasch nach der Infektion verabreicht werden. Man würde nun das Alter und die ethnische Zugehörigkeit der Studienteilnehmer sowie ihre jeweilige gesundheitliche Verfassung auswerten, sagt John Mellors, Spezialist für Infektionskrankheiten am University of Pittsburgh Medical Center in Pennsylvania, USA.
Da antivirale Arzneimittel oft schon früh im Verlauf einer Infektion verabreicht werden müssen, möchten Mellors und seine Kollegen auch besser untersuchen, zu welchem Zeitpunkt genau die medikamentöse Behandlung in den Studien stattfand und wie dies die Wirksamkeit beeinflusste. Keine der beiden Untersuchungen hatte ausreichend Teilnehmer, um eindeutige Schlussfolgerungen ziehen zu können, wie gut die Medikamente tatsächlich vor einem tödlichen Verlauf schützen. Aber zumindest gab es unter den Studienteilnehmern keine Todesfälle.
In weiteren Untersuchungen ließe sich auch herausfinden, ob die Virostatika die Übertragung des Coronavirus beeinflussen oder sogar verhindern können, dass sich Menschen infizieren. Wenn dies der Fall wäre, könnte die Kombination von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten zu einem sehr wirksamen Mittel werden, so Jerome Kim, Generaldirektor des Internationalen Impfstoffinstituts in Seoul. Das würde ganz neue Möglichkeiten eröffnen, die Pandemie zu kontrollieren.
Sind die Behandlungen sicher?
Die zwei Virostatika wurden von den Studienteilnehmern gut vertragen, zum Teil auftretende Nebenwirkungen waren gering. Auf Grund der Wirkweisen können aber bestimmte Personengruppen die Medikamente möglicherweise nicht einnehmen. Molnupiravir schleust während der viralen Replikation Mutationen in das Genom des Virus ein. Ein Stoffwechselprodukt des Medikaments wird von einem viralen Enzym, der RNA-abhängige RNA-Polymerase, aufgenommen und in das virale Genom eingebaut. So entstehen schließlich so viele Fehler, dass das Virus nicht mehr überlebensfähig ist.
Menschen haben zwar kein RNA-Genom, eine Laborstudie legt jedoch nahe, dass Molnupiravir auch Mutationen in der menschlichen DNA verursachen könnte. Selbst wenn die vollständige Therapie mit Molnupiravir nur fünf Tage dauert, könnten die Zulassungsbehörden daher zurückhaltend sein, insbesondere wenn es um die Behandlung von Schwangeren geht, sagt Kim.
Paxlovid hemmt ein Enzym, das benötigt wird, um einige virale Proteine in ihre endgültige, funktionsfähige Form zu bringen. Das Medikament ist eine Kombination aus dem Virostatikum PF-07321332 und dem Wirkstoff Ritonavir. Letzterer verhindert, dass Enzyme in der Leber das Virostatikum abbauen, bevor es das Coronavirus deaktiviert hat. Allerdings kann er auch die Verstoffwechslung einiger anderer Medikamente im Körper beeinflussen, darunter solche, die häufig zur Behandlung von Herzerkrankungen, zur Suppression des Immunsystems und zur Schmerzlinderung eingesetzt werden. Dies bedeutet, dass manche Menschen die Kombination von PF-07321332 und Ritonavir womöglich nicht vertragen. Vielleicht finden sich aber Wege, einige der Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten zu verhindern.
Wirken die Medikamente auch gegen bedenkliche Varianten?
Theoretisch sollten beide Medikamente gegen alle bekannte Varianten des Coronavirus wirken, einschließlich der Deltavariante. Die Varianten unterscheiden sich hauptsächlich durch Mutationen des viralen Spike-Proteins und anderer Regionen, die vom Immunsystem – und von Impfstoffen – angegriffen werden. Die viralen Angriffspunkte von Molnupiravir und Paxlovid unterscheiden sich allerdings davon. Noch habe die Forschung aber nicht gezeigt, dass das jeweilige Medikament wirklich gegen alle Varianten helfe, sagt Mellors. Merck hat immerhin bereits Laborstudien durchgeführt, die zeigen, dass Molnupiravir gegen die Delta- und andere Varianten hilft – auch gegen die Beta-Linie, die erstmals in Südafrika identifiziert wurde.
Eine Sorge ist, dass die von Molnupiravir im Virusgenom erzeugten Veränderungen zur Entstehung einer neuen, gefährlichen Variante führen könnte. Theoretisch ist dieses Szenario möglich, Mellors hält es jedoch für unwahrscheinlich. Laborstudien haben gezeigt, dass Molnupiravir eine Vielzahl von Mutationen in jedem Virusgenom erzeugt, und je mehr Mutationen das Genom ansammelt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon das Virus schwächt. »Die Chance, dass mehrere Mutationen das Virus stärken, ist gering«, sagt Mellors.
Könnte das Coronavirus gegen antivirale Mittel resistent werden?
Medikamentenresistenz ist ein altbekanntes Problem und der Grund, warum manche Virusinfektionen wie HIV und Hepatitis C mit Kombinationen antiviraler Medikamente behandelt werden. »Unter dem Strich brauchen wir einfach Kombinationstherapien«, sagt Katherine Seley-Radtke, eine Chemikerin, die an der US-amerikanischen University of Maryland, Baltimore County, antivirale Arzneimittel entwickelt.
Bislang wurden Molnupiravir und Paxlovid nur als Einzeltherapien getestet. Eine Untersuchung des Londoner Datenanalyseunternehmens Airfinity von Anfang November ergab, dass es bisher nur 16 Covid-19-Studien gibt, in denen Kombinationen von Virostatika getestet werden und die mehr als 100 Teilnehmer einschließen. In keiner dieser Studien wird Molnupiravir oder Paxlovid verabreicht; die meisten testen Medikamente in Kombination mit dem Malariamittel Hydroxychloroquin, das als Einzelwirkstoff in klinischen Studien gegen Covid-19 wiederholt versagt hat.
Wichtig wäre auch, Menschen zu untersuchen, die nicht auf Molnupiravir oder Paxlovid ansprechen, um herauszufinden, ob eine virale Resistenz eine Rolle spiele, sagt Douglas Richman, ein Spezialist für Infektionskrankheiten an der University of California in San Diego, USA. Auch sollte man Patienten mit geschwächtem Immunsystem intensiv beobachten, wenn sie die Medikamente erhielten. Da die Infektionen bei diesen Menschen mitunter länger andauern, könnte die Gefahr einer Resistenzbildung größer sein, denkt Richman.
Wer wird die neuen Medikamenten bekommen?
Bereits mehrere Generikahersteller haben begonnen, das Medikament zu produzieren. Merck hat eine Vereinbarung mit dem Medicines Patent Pool unterzeichnet, die sicherstellen soll, dass auch Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen die erforderlichen Lizenzen für die Herstellung von Molnupiravir bekommen.
Gore zufolge führt die Organisation derzeit auch Gespräche mit Pfizer. Beide Unternehmen haben sich zu einer Preisstaffelung verpflichtet, damit ärmere Länder weniger für die antiviralen Medikamente zahlen müssen. Aber Lizenzen und Kosten sind nicht das einzige Hindernis – ein weiteres Problem sind die Tests: Um Virostatika zu einem frühen Zeitpunkt einer Infektion zu verabreichen, sind ausreichende Covid-19-Tests notwendig. »In einigen Ländern gibt es eine große Lücke bei den Testungen«, sagt Kim. »Wir möchten nicht, dass jemand die Medikamente verschrieben bekommt, wenn er bloß covidähnliche Symptome hat, es sich aber um eine Grippe handelt.«
Derweil haben wohlhabende Länder bereits große Bestellungen aufgegeben, was die Versorgung in anderen Teilen der Welt einschränken könnte. Die Situation sei nur allzu bekannt, sagt John Amuasi, Leiter der Forschungsgruppe für globale Gesundheit und Infektionskrankheiten am Kumasi Centre for Collaborative Research in Tropical Medicine in Ghana. Man müsse sich nur anschauen, was momentan mit den Impfstoffen passiert.
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